MARMORNACHT - LESEPROBE


Es ist lauter, als ich es aus meinen jüngeren Tagen kenne. Der »Club« in den mich Haley und ihre Freundinnen schleppen, nachdem wir auf ihren Geburtstag angestoßen haben, ist schon immer ein besonders beliebtes Ziel unter den Jugendlichen gewesen, weil man hier bei Minderjährigen gleich beide Augen zudrückt.

 

Meine Erscheinung steht in einem harten Kontrast zu den anderen Mädchen. Während Haley und der Rest ihrer Girlband Kleidung tragen, als hätten sie sich für eine Edeldisko schick gemacht – eng und kurz, trage ich dieselben unkomplizierten und bequemen Sachen wie sonst auch: Flache Schuhe, eine Jeans und eine etwas weitere, durchscheinende Bluse über einem pastellfarbenen Top.

 

»Club« ist auf jeden Fall mehr als Spitzname für den Schuppen zu verstehen. Es handelt sich dabei lediglich um eine Bar mit einem kleinen Bereich, in dem gerade so viele Tische weggeräumt worden sind, dass der Inhaber behaupten kann, es handele sich hierbei um eine »Tanzfläche«.

 

Der Laden liegt zwar etwas außerhalb unseres Wohnbezirks, wäre von unserem Haus aus aber gemütlich zu Fuß zu erreichen gewesen. Trotzdem waren alle dafür sich ein Taxi zu teilen. Alle außer mir. Aber ich wurde ja auch gar nicht erst gefragt.

 

Kaum, dass wir angekommen sind, ziehen Haleys Freundinnen uns begeistert an einen bereits besiedelten Tisch. Sofort wird mir klar, dass es sich bei den Jungs ebenfalls um Mitschüler aus der Akademie handelt. Es wird laut gegrölt, wild gestikuliert und als wir uns endlich setzen, schwirrt mir ein wenig der Kopf. Auch wenn ich mich eher verhalten gebe und vorhatte nur vorsichtig mit einem Handzeichen in die Runde zu grüßen, stürzen sie sich auf mich. Auf Haleys Schwester. Sie sagen es nicht direkt, aber ich habe das Gefühl, dass jeder der Anwesenden genau weiß, wer ich bin. Besonders einer der Jungen, der schon einiges über den Durst getrunken hat, beißt sich an mir fest. Zuerst gibt er mir eine Einführung in sämtlichen Namen der Gruppenmitglieder, von denen ich mir keinen einzigen merke, auch wenn ich den Benannten höflich zunicke. »Warst du nicht auch mal an unserer Schule?«, fragt der Junge danach.

 

Im Augenwinkel sehe ich, wie Haley mich mit geweiteten Augen ansieht. Aber ich halte mich wacker. »Ja, war ich.«

 

Er legt den Kopf schräg und möchte noch etwas fragen, aber ein anderer erhebt plötzlich die Stimme. »Wo bleiben denn Peter und Will mit dem Bier?«, ruft dieser laut über unsere Köpfe hinweg und ich atme innerlich auf, als das den anderen augenblicklich ablenkt.

 

Die Gruppe beginnt einen Singsang und klopft rhythmisch auf die Tischplatte. »Wo ist das Bier?«, rufen sie und brechen dann in Jubel aus. Ich fühle mich ein wenig überfordert, starre in die Runde, als wären sie Bewohner eines anderen Sterns.

 

Sobald ich mich umdrehe, sehe ich den Grund ihrer Freude. Zwei Jungs mit Tabletts voller Bierkrüge kommen auf uns zu und einer von ihnen zieht augenblicklich meine Aufmerksamkeit auf sich. Er unterscheidet sich sehr von Haleys Tänzer-Freunden. Und das nicht nur wegen seiner dunklen Kleidung, den zerschlissenen Jeans oder der nicht so aufwendig gestylten Frisur. Die anderen Jungs sind, für ihre Tätigkeit typisch, eher klein und drahtig. Er aber trägt nicht nur ein sehr gesundes Körpergewicht mit sich herum, sondern auch mehr Muskeln, als es für normales Training üblich wäre.

Die Tabletts finden ihren Platz auf dem Tisch und ich versteife mich unmerklich, als er sich neben mir auf einen Stuhl fallen lässt. Ich lehne dankend ab, als er mir ein Bier anbietet und er schenkt mir ein freundliches Lächeln, bevor er sich auf seinem Stuhl zurücklehnt. Er legt einen Arm lässig nach hinten über die Stuhllehne und beginnt an seinem Bier zu nippen.

 

Die anderen am Tisch stürzen sich wie eine Horde Verdurstende auf die Krüge, während ich nach einem der leeren Gläser greife und mir etwas aus der Wasserflasche eingieße, die, wie überall sonst auch, in der Mitte unseres Tisches steht. Ich nehme einen Schluck und versuche irgendeinem Gespräch in meiner Nähe zu folgen. Komme dabei aber nicht umhin, zwischendurch meinen Sitznachbarn zu mustern.

 

Er hat kurze, dunkelbraune Haare, ein spitzes Kinn und markante Wangenknochen. Wegen der schlechten Lichtverhältnisse kann ich seine Augenfarbe nur schwer erahnen, aber es scheint eine Farbe zwischen Blau und Grau zu sein. Ein dunkler Drei-Tage-Bart verdeckt eine sehr feine, eigentlich unscheinbare Narbe an seiner Wange, die mir nur wegen ihrer rosigen Farbe auffällt. Vermutlich ist es bloß ein winziger Schnitt, den er sich vor ein paar Tagen zugezogen hat.

 

Alles an ihm wirkt entspannt und ruhig, aber seine Augen huschen wachsam über die Gesichter der anderen und ich weiß, dass er keine Probleme damit hat den Gesprächen zu folgen.

 

» … oder was meinst du, Will?«, ich habe den Rest des Gesprächs nicht mitbekommen, doch mein Nachbar reagiert darauf.

 

Seine Augen blitzen. »Nicht wirklich mein Fall«, lacht er und lehnt sich noch ein wenig mehr zurück, um seinen Fuß auf einem Tischbein abzustellen. Die Jungs johlen. Einige anerkennend, andere stimmen ihm wohl eher nicht zu.

 

Will sendet eine gewisse Attraktivität aus und ich bemerke, wie auch ein paar der Mädchen immer mal wieder einen schüchternen Blick in seine Richtung werfen. Ich muss zugeben, dass er auch in mir ein Interesse weckt. Kein romantisches oder gar sexuelles, aber ich frage mich ernsthaft, warum er Teil von Haleys Gruppe ist, wo er doch so anders wirkt.

 

Eines der Mädchen stößt plötzlich einen Ausruf aus, der so laut und schrill ist, dass ich zusammenfahre. Irritiert blinzele ich in ihre Richtung, als würde mir ein starker Wind ins Gesicht pusten.

 

»Genug getankt, Leute! Ab auf die Tanzfläche! Lasst uns das Geburtstagskind feiern!«, ruft sie verzückt und mit rosigen Wangen aus.

 

Alle brechen sofort wieder in Jubel aus und erheben sich, während einige noch die letzten Schlucke auf einmal aus ihren Gläsern nehmen. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe aufzustehen. Gemütlich trinke ich etwas von meinem Wasser und beobachte die lärmende Bande mit einem belustigten Schmunzeln. Sie besiedeln den Bereich vor der Jukebox, die schon kaputt war, als ich noch ein Stammgast gewesen bin, und tanzen wild zu der Musik aus den Lautsprechern. Jetzt, mit etwas Abstand, wird mir erst richtig bewusst, dass der Schuppen beinahe leer ist und erinnere mich peinlich berührt zurück an die Zeit, als ich eines dieser quietschenden Mädchen gewesen bin.

 

Eine Hand schiebt sich in mein Sichtfeld und ich stelle verblüfft fest, dass ich nicht die Einzige bin, die sich dafür entschieden hat, sitzen zu bleiben. Mein Sitznachbar ist wohl auch nicht so sehr für die vermeintliche Tanzfläche zu begeistern.

 

»Hi. Ich bin Will«, sagt er mit einem charmanten Lächeln.

 

»Abigail«, ich schüttele ihm kurz die Hand. Sie ist rau, aber angenehm warm.

 

»Also – Abigail? Was tust du hier, wenn du augenscheinlich nicht hier bist, um zu tanzen?«, fragt er in einem Plauderton und ich bin mir nicht sicher, ob er tatsächlich Interesse hat oder ob er einfach nur nett sein will.

 

»Ich bin wegen meiner Schwester hier«, antworte ich. »Die, die ihren Geburtstag feiert.«

 

»So? Und welche ist das genau?«, er schaut zu den Mädchen rüber, die einen Kreis gebildet haben und sich zum Rhythmus der Musik bewegen.

 

Ich stocke verwirrt und mustere ihn einen Moment skeptisch. Er ist wohl doch nicht so aufmerksam gewesen, wie es den Anschein gemacht hat. »Das blonde Mädchen dort in der Mitte«, sage ich und hebe kurz den Zeigefinger, um auf Haley zu zeigen.

 

Will macht einen erkennenden Laut und nickt, während er sich nachdenklich an seinem Arm kratzt. Dabei fällt mein Blick auf die feinen Linien eines Dreieck-Tattoos, das unter seinem Ärmel hervorblitzt und auf die Ringe, die seinen Unterarm auf der anderen Seite zieren. Wie aufgemalte Armreife gehen sie einmal ganz rum und sind mit unterschiedlichen Verzierungen versehen. Zwei sind dicht beieinander und etwas schlichter gehalten. Ein Dritter liegt ein kurzes Stück darüber und ist mit wilden Schnörkeln geschmückt.

 

»Ich dachte, du wärst einer von ihren Freunden«, bemerke ich.

 

»Oh. Nein. Ich kenne nicht einen von denen.« Er hebt abwehrend die Augenbrauen, sodass sich tiefe, geschwungene Furchen auf seiner Stirn bilden.

 

»Aber–«

 

»Aber wir sehen aus wie beste Freunde?«, rät er grinsend meine nächsten Worte und liegt damit gar nicht so falsch. »Ja, weißt du? Ich kenne nicht mal deren Namen. Aber die Jungs sind so betrunken, spendieren mir Bier und lachen über meine Witze, als wäre ich ein Held. Da bin ich eben geblieben«, er hält kurz inne, um von seinem Bier zu trinken, »Ich meine: Wer wäre da nicht geblieben, oder?«

 

Ich, zum Beispiel. Ich finde es eigenartig, dass er einfach so mit einer fremden Gruppe rumhängt, obwohl sie ganz klar eher nicht seiner sonstigen Gesellschaft entsprechen. Und das nur wegen Bier und ein paar Lachern.

 

»Und was machst du so, Abby?«, fragt er leichthin, weil ihm scheinbar aufgefallen ist, dass das Gespräch ins Stocken geraten ist.

 

Aber ich zögere einen Moment. Irritiert, weil er, wie selbstverständlich, meinen Spitznamen verwendet. Als würden wir uns schon ewig kennen. »Ich studiere Jura.«

 

Er lacht kurz. »Nein, ich meinte: Was machst du gern?«

 

»Wie kommst du darauf, dass ich das nicht gern tue?«

 

»Ach, komm schon. Jura?« Er sieht mich skeptisch an.

 

Prüfend mustere ich sein Gesicht. »Ich tanze gern«, meine ich daraufhin kurz angebunden. Ohne eine Miene zu verziehen oder irgendwie näher darauf einzugehen. Aber ich frage mich ernsthaft, wieso ich ihm das gerade einfach erzählt habe. Und das, obwohl er mir doch etwas suspekt zu sein scheint.

 

Seine Augen blitzen fast schon kampflustig. Er nickt in die Richtung der Tänzer und lächelt schief. »Aber ich sehe dich gar nicht tanzen.«

 

»Nicht diese Art von Tanz«, sage ich unbeeindruckt, obwohl das nur halb stimmt. »Ich tanze Ballett«, erkläre ich mich und wechsele dann das Thema, bevor er Luft holen kann, um etwas zu entgegnen. »Was machst du denn so, Will?«

 

Diesmal ist es an ihm, mich prüfend zu mustern. In seinem Gesicht blitzt zum ersten Mal diesen Abend etwas Ernstes auf. »Ich jage«, lautet seine knappe Antwort und er wirkt offenbar besonders interessiert an meiner Reaktion.

 

»Wow«, sage ich und verziehe missbilligend das Gesicht. »Du weißt wirklich, wie man sich beliebt macht. Bis gerade eben fand ich dich fast nett«, stichele ich und nehme einen Schluck aus meinem Glas, während Will schmunzelnd den Blick senkt.

 

Als er den Kopf wieder hebt, blitzen seine Augen verschmitzt. Er will etwas sagen, doch da erhebt sich wieder Trubel um uns, weil die anderen an unseren Tisch zurückkehren. Zwei Jungs reißen Will förmlich aus unserer Unterhaltung und ich bin fest entschlossen diese Chance für mich zu nutzen.

Ich erhebe mich, gehe mit zwei schnellen Schritten um den Tisch herum zu Haley und beuge mich zu ihr herunter, um mich ihr mitzuteilen, ohne dass gleich jeder etwas davon mitbekommt.

 

»Hey. Ich glaube, ich haue jetzt ab. Okay?«

 

»Oh, wieso das?«

 

»Ich bin müde und–«, weiter komme ich mit meiner schlechten Ausrede nicht, denn sie erhebt sich bereits, um mich zum Abschied zu umarmen.

 

»Danke, dass du mitgekommen bist«, sagt sie gedämpft an meinem Ohr.

 

»Nochmal Happy Birthday, kleine Schwester«, lächele ich, als sie sich wieder von mir löst. »Trink nicht noch mehr«, füge ich mit erhobenem Zeigefinger und in Großer-Schwester-Manier hinzu, bevor ich noch schnell ein paar Worte zum Abschied in die Runde werfe.

Vor dem Gebäude nehme ich einen tiefen Atemzug der wohltuenden Nachtluft. Es ist gerade so kühl, dass mir meine Strickjacke noch reicht, um mich warm zu halten. Kurz überlege ich, ob ich mir ein Taxi rufen soll, entscheide mich dann aber doch, dass ich wach genug bin, um zu laufen. Ich bin den Weg auch früher schon immer zu Fuß nach Hause gegangen. Guilford ist eine der eher ruhigeren Gegenden Baltimores und es sind nicht einmal dreißig Minuten Fußweg bis zu meinem Elternhaus.

 

Nächtliche Spaziergänge hatten schon immer eine ganz besondere Wirkung auf mich, mit dem Duft der Nacht und den Sternen über mir. Eine leichte Brise weht mir immer wieder angenehm um die Nase und ich lausche entspannt dem Zirpen der Grillen aus den Vorgärten der Häuser, die ich passiere. Es bereitet mir schon etwas Unbehagen hier ganz allein die Straßen entlang zu gehen, doch die Straßenlaternen geben genug Licht ab, damit ich immer genau sehe, wo ich hintrete und wiegen mich so in Sicherheit. Hinter ihnen erheben sich, ein wenig einschüchternd, die riesigen Häuser und allerlei Bäume.

 

Ich bin schon einige Minuten unterwegs, als mir ein herzhaftes Gähnen entweicht. Scheinbar bin ich doch müder, als ich es anfangs angenommen hatte. Aber es ist ja auch nicht mehr weit. Als ein Mäuschen über meinen Weg huscht, halte ich erschrocken inne und biege danach routiniert in die Straße ein, in der die reicheren Mitmenschen ihre Villen haben. Bei Tag ist es eine wunderschöne Allee aus Bäumen mit tiefhängenden Ästen und saftig grünen Blättern. Bei Nacht erinnert sie mich nur daran, dass hinter den Bäumen noch meterhohe, steinerne Zäune ragen, teilweise von Efeu und anderem Gestrüpp bewachsen, die den Blick auf die Häuser dahinter verbergen.

 

Plötzlich schiebt sich ein ungutes Gefühl in mein Bewusstsein und lässt mich frösteln. Ist das nicht typisch? Gerade jetzt muss ich mich an den Horrorfilm von vor drei Wochen erinnern.

 

Ich ziehe meine Jacke ein wenig fester um mich und ermahne mich, rational zu denken. Aber mir stellen sich dennoch die Nackenhaare auf und ich beschleunige automatisch meinen Schritt. Zu allem Überfluss beginnen die Laternen vor mir plötzlich zu flackern. Erst nur eine, aber dann werden es ziemlich schnell immer mehr, bis ich verwundert stehen bleiben muss und ungläubig das blinkende Spektakel beobachte. Bis zum Ende der Straße produziert jede Laterne in ihrem eigenen Takt unterschiedlich starke Lichter und das für Minuten.

 

Ganz plötzlich stoppt es und für eine Sekunde stehe ich im Dunkeln. Dann leuchten sie wieder auf und alles ist wieder beim Alten. Wie erstarrt stehe ich verwirrt blinzelnd da. Habe ich mir das gerade bloß eingebildet? Immerhin bin ich mittlerweile wohl doch schon ziemlich müde. Oder macht sich da jemand einen Spaß mit mir? Wenn ja, so finde ich das jedoch absolut nicht lustig.

 

Unruhig sehe ich einmal in die eine und dann in die andere Richtung die Straße hinunter, kann aber nichts Verdächtiges sehen. Zögernd setze ich schließlich meinen Weg fort. Dabei versuche ich möglichst viel von meiner Umgebung im Blick zu behalten.

 

Die Laterne unmittelbar über mir leuchtet für einen kurzen Moment auf, gibt einen hellen, knackenden Ton von sich und wird mit einem kleinen Funkenregen dunkel. Mir entweicht ein erstickter Schreckenslaut. Gehetzt blicke ich von der erloschenen Glühbirne zur nächsten Laterne. Aber als ich bei ihr ankomme, passiert mit ihr dasselbe, genauso wie bei der darauffolgenden. Mit jeder Laterne beschleunige ich zwar meinen Schritt, aber die nächste Glühbirne brennt bereits durch, noch bevor ich mich in ihr Licht retten kann.

 

Was geht hier vor sich?!, ist alles, was ich denken kann, als ich erstarre und dabei zusehe, wie die Glühbirnen vor mir, eine nach der anderen, erlöschen. Sie lassen mich in zunehmender Dunkelheit und ich schlucke schwer. Ich spüre das Adrenalin in meinen Adern pulsieren.

 

Ein Rascheln hinter mir lässt mich herumfahren. Meine Brust hebt und senkt sich kräftig zu meinen schweren Atemzügen. Kalter Schweiß rinnt mir den Rücken entlang, aber ich kann keine unnatürlichen Bewegungen erkennen. Vielleicht ist mir Haleys Geburtstagscrew gefolgt und nun wollen sie mir spaßeshalber Angst machen.

 

Diesen Gedanken verwerfe ich jedoch sofort wieder, als hinter mir ein tiefes, dumpfes Hauchen ertönt. Ich wirbele hektisch herum. War das ein Tier?, frage ich mich panisch, als ich hinter mir nichts erkenne. Eiskalte Schauer pulsieren durch meinen Körper und ich kann ein leises Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Kein Gedanke ist mehr laut genug, um meine Panik zu übertönen und mich zu beruhigen. Deshalb tue ich das einzige, das mir in den Sinn kommt: Wie von der Tarantel gestochen, sprinte ich los. Mir ist nicht einmal bewusst, in welche Richtung ich eigentlich laufe. Ich will nur so schnell wie möglich aus dieser unheilvollen Dunkelheit heraus.

 

Plötzlich trete ich mit dem Schienbein gegen etwas Hartes und stürze vornüber auf den Bürgersteig. Hier ist der Weg ein wenig abschüssig und so rolle ich einige Meter seitlich bergab. Meine Umwelt dreht sich dabei verschwommen und schwindelerregend vor meinen Augen. Sobald ich mich halbwegs erfolgreich abfangen kann und so fast zum Stillstand komme, drücke ich mich vom Boden hoch. Noch bevor ich mich ganz erhoben habe, spüre ich einen immensen Schmerz an meiner Schulter aufwallen. Ich schreie auf, aber ich sehe mich nicht um, sondern renne einfach weiter, als wäre ich nicht gerade hingefallen und hätte mich dabei nicht verletzt.

 

In der nächsten Sekunde wird es gleißend hell um mich herum. Es blendet mich so sehr, dass ich stehen bleiben und meine Augen mit einem Arm abschirmen muss. Meine Ohren sind seltsam belegt, als würde ich mich in den Bergen befinden und ich höre rauschende Geräusche, die ich nicht einordnen kann. Orientierungslos versuche ich in dem unendlichen Weiß etwas zu erkennen. Aber erst als die Helligkeit etwas an Intensität verliert, kann ich einen großen Schatten ausmachen, der sich auf mich zu bewegt.

 

Ein neuer Schwall Panik überkommt mich.